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Campus Novels – Universitätsromane: Die Universität als literarisches Motiv

Romane über das Universitätsmilieu finden sich neuerdings nicht nur in ihren angestammten anglo-amerikanischen Kontexten, sondern auch in deutschen Variationen – eine interessante Gelegenheit zum Vergleich der Universitätskulturen und der unterschiedlichen Traditionen literarischer Komik. 

Die Gattung gilt als Forum der Autoritäten- und Institutionenkritik und Vehikel der Auseinandersetzung um Bildungspolitik in satirischer Form, oft mit selbstironischen Akzenten. Auffällig ist die häufige Kreuzung mit dem Genre des Kriminalromans und des Schlüsselromans. Problematisch erscheint der genretypische Einsatz von Klischees und von stock figures, besonders im Hinblick auf gender (männlicher Gelehrter und weibliche Studentin, auch umgekehrt; homosexuelle Subkulturen o.ä.). Grundsätzlich wäre nach der literarischen Brechung lebensweltlicher Stereotypen bzw. nach der Bedienung identifikatorischer Lektüreeinstellungen zu fragen. Da das Genre nicht auf die soziokulturellen Problemstellungen reduziert werden sollte, gilt ein besonderes Augenmerk dem intertextuellen Spiel mit den Methoden der modernen Literaturwissenschaft. Hierbei könnten auch Texte berücksichtigt werden, die nicht zum Gattungszentrum der Campus Novel gehören, aber durch ihre literaturtheoretischen Spielereien für eine Kritik der akademischen Szene sorgen.

München, den 01. Juli 2003
Prof. Dr. Erika Greber

 

Die Präsentation ging aus dem Hauptseminar „Universitätsromane / Campus Novels“ hervor, das Frau Prof. Dr. Erika Greber im Wintersemester 2003/04 am Institut für Komparatistik der LMU München mit einer Gruppe von 23 Studierenden des Hauptstudiums durchgeführt hat. Verantwortlich für die Konzeption und Gestaltung des begleitenden Webprojektes ist Danica Krunic. Bei Fragen, Hinweisen oder Kritik senden Sie uns bitte eine E-Mail.

 

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Campus Novels – Universitätsromane: Allgemeine Gattungsfrage

Eva Esslinger:
Mit Blick auf den Nachbarn – universitäre Literarisierungsversuche in Deutschland und angloamerikanische Campus-Romane


Inhalt

1. Gattungsproblematik
1.1 Begriffs- und Definitionsfindung
1.2 Ansätze der Gattungsdefinition

2. Gründe für die „Abwesenheit“ des deutschen Uni-Romans

3. Gemeinsamkeit: Rekurrieren auf Stereotype

 

Nicola Gadow und Anna Fanderl:
Mit Blick auf den Nachbarn – universitäre Literarisierungsversuche in Deutschland und angloamerikanische Campus-Romane
Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 30. Oktober 2003


Gattungstheoretische Grundüberlegung:

  • Das Konzept der Gattung hat sich von einem normativen, essentialistischen zu einem funktionalen, offenen Begriff mit einer gewissen Unschärfe in den Randbereichen gewandelt.
  • Man unterscheidet zwischen dominanten und subdominanten Faktoren innerhalb einer Gattung, sowie deren Mischung und Funktion (z.B.: Ästhetische Funktion? Soziologische Funktion?)
  • Ist der Begriff Gattung in der Postmoderne noch zeitgemäß?
    Kreuzungen von Gattungen gelten als postmodern. Eine solche Grenzüberschreitung ist nur möglich, wenn es noch Gattungsgrenzen gibt. Das Gattungsprinzip der Postmoderne ist also die Überschreitung der Gattungsgrenzen.
  • Historische Betrachtung: Historizität der Texte bzw. Der Gattung bzw. Historizität der Denkart der Gattung selber.

 

Diskussion:

These (A) des Referats über Gattungsproblematik: Anders als im angloamerikanischen Raum ist in deutschen (so genannten) Universitätsromanen nicht immer die Universität das zentrale Thema (vielleicht auch aufgrund der wenigen Campus-Universitäten in Deutschland)

  • In Deutschland hat Bildung einen anderen Hintergrund als im angloamerikanischen Raum; beispielsweise ist englische Sekundärliteratur oft allgemeiner und leichter verständlich geschrieben
  • Nicht nur der Raum Universität ist anders, sondern auch der universitäre Diskurs
  • Lodge: Minimalisierung des Raumes, Ende der statischen Universität (Small World)

 

Frage der Norm/des Blickwinkels: Ist der Universitätsroman generell etwas Anglo-amerikanisches?

  • Gründe für diese Betrachtungsweise: unterschiedliche Diskurse; bei den anglo-amerikanischen Campus Novels geht der wissenschaftliche Diskurs in den Text mit ein
  • In Deutschland wäre ein genügend weiter Gattungsbegriff erforderlich, um sämtliche Untergattungen in einen Begriff zu integrieren (z.B. auch der Studentenroman)
  • Der Gattungsbegriff muß den kulturellen und historischen Hintergrund sowie die verschiedenen Sprachen und Traditionen berücksichtigen

 

Wie grenzt man Universitätsromane von anderen Gattungen ab?

  • Zum Teil stellt der Raum Universität nur ein Konzept dar, das sich mit anderen Gattungen überschneidet
  • Definition eines Gattungsbegriffs: die Universität als Setting und als Thema müssen integriert werden (hierbei ist nicht wichtig, ob das Thema banal oder tiefgreifend behandelt wird)
  • Wie wird der Raum dargestellt? Welche Leserschaft wird angesprochen?
  • In angelsächsischen Systemen ist die Universität viel enger mit dem Alltagsleben vernetzt
  • Die Postmoderne propagiert die Auflösung aller Gattungsnormen, möglicherweise konnte sich deshalb der deutsche Campusroman nicht als neue, später auftauchende Gattung etablieren.

Nicola Gadow und Anna Fanderl

Campus Novels – Universitätsromane: Campus Novel als Krimi

Céline Genschke: Die Strukturen des Kriminalromans in Campus Novels


Inhalt

1. Der Kriminalroman
1.1 Gattungsgeschichte und Definitionsansatz

2. Der Universitätskrimi
2.1 Thematisierung des Universitätsmilieus im Kriminalroman
2.2 Spurenleser: Detektiv und Akademiker
2.3 Gaudy Night, Berliner Aufklärung


Das Krimikonzept des Universitätskrimis
Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 06. November 2003

Klärung der Begriffe ‚Krimi’ und ‚Universitätskrimi’

Im Referat wurde dargestellt, auf welche Weise ein „herkömmlicher Krimi“ funktioniert (sehr detailliert auf Handout). Zusätzlich wurde beschrieben, wie und warum ein Krimi zum Universitätskrimi wird. Hierbei wurden zusätzlich zur Darstellung im Referat noch folgende Punkte hervorgehoben:

der für Krimi wichtiger geschlossener Raum findet sich im Campus (räumlich)
zusätzlich bildet die Gemeinschaft der Universität auf geistiger Ebene einen „geschlossenen Raum“
dieser bietet ein exklusives Milieu (vgl. im herkömmlichen Krimi z.B. Orient Express)
außerdem liegt es nahe, dass sich bei der Aufklärung eines Mordes Intellektuelle wie an einem Gedankenspiel beteiligen


Diskussionspunkte:

Intertextualität: Der Begriff „Symbol“ (Pkt. II.1) erschien unzutreffend. Präziser wäre das hier Gemeinte als intertextuelle Verweisstruktur zu fassen. Beispiele aus den Primärtexten (Dorn – Berliner Aufklärung: Kapitelüberschriften) hätten eine Präzisierung einfacher gemacht.


Diskretionsgebot:

Die Teilnehmer verwiesen auf die „doppelte“ Struktur der Diskretion (Pkt. II.2). Zum einen geht es darum, den Ruf des Colleges nach außen (Gesellschaft) zu wahren und im Gegensatz ‚College vs. Universität’ zu bestehen. Zum anderen geht es aber auch intern um die Geheimhaltung von Forschungsergebnissen vor anderen Uniangehörigen. Genanntes Beispiel war Sayers Gaudy Night.


Außenseiter:

Die These der Referentin, Wissenschaftler seien analog zur Figur des Detektivs Außenseiter, war strittig.

Als Gegenthese wurde vorgebracht, dass Wissenschaftler in die Gesellschaft integriert und wohl angesehen seien.
Der Begriff „Außenseiter“ kann nur dann Sinn machen, wenn er in Bezug zum Begriff des „Sonderlings“ beschrieben und präzisiert wird. Offen blieb die Frage, ob Wissenschaftler in ihrer Darstellung nicht häufiger dem Typus des Sonderlings zuzurechnen wären.

Der Akademiker kann innerfiktional dann nicht dem Typ des Außenseiters zugerechnet werden, wenn die Mehrzahl der Nebenfiguren ebenfalls Akademiker sind. Auf der äußeren Ebene der Textstruktur muss die Frage hinsichtlich der Inszenierung von Klischees, oder Stereotypen untersucht werden. Wird im Zuge dieser Inszeniertheit ein Klischee vorgeführt oder kritisiert (z.B. Sonderling)?
Beispiel: Dorns Berliner Aufklärung. Hier besteht die Außenseiterposition der Akademikerin hauptsächlich darin, dass sie durch ein zusätzliches Attribut als Außenseiter in Bezug auf die geschlossene Welt der Universität gesetzt wird (z.B. ‚Homosexualität’ und besonders ‚abgebrochenes Studium’).

→ Als zentrales Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Zuordnung einer Figur zu einem bestimmten Typus (z.B. Sonderling), nicht unabhängig von einer Untersuchung der Gemachtheit des Textes erfolgen kann. Inszeniert der Text beispielsweise Klischees, oder nicht?


Detektiv vs. Akademiker:

Grundsätzlich in Frage gestellt wird, ob es tatsächlich möglich ist, eine Analogie zwischen dem Typ des Akademikers und dem des Detektivs zu finden. Vor allem die Begründung dieser Analogie (beide haben Außenseiterfunktion) wurde kritisiert.

→ Ergebnis und Entkräftung der Begründung: Die Figuren nehmen sowohl eine Innen-, als auch eine Außenfunktion ein. Sie wirken als „Halb-Außenseiter“ (vgl. Anja Abakowitz). Es macht jedoch Sinn, dass sie mit dem Leben der Universitäten bekannt sind (bzw. sogar das betroffene Institut gut kennen), da ihnen das Lösen des Rätsels um das Verbrechen auf diese Weise erleichtert wird. Diese These wird untermauert durch den Verweis auf die Figur des Journalisten im Campus, die Figur der Ehemaligen in Gaudy Night und eben die Studienabbrecherin Anja Abakowitz.

Hohes Gattungsbewusstsein:
Der „klassische Krimi“ ist keine Gattung, die „große Experimente“ zulässt. Er stellt ein schematisiertes Genre dar und besitzt gleichbleibende, regelhafte Grundstrukturen. Besonders im Unikrimi wird mit diesen eher spielerisch umgegangen (z.B. Ende von Berliner Aufklärung).


Metakrimi:

Sayers Gaudy Night als metafiktionaler Text; „Krimi über den Krimi“
Exemplifiziert wird diese These an der Figur der Harriet Vane, die als Krimischriftstellerin selbst einen Kriminalfall löst, und parallel zum Verlauf der Detektivstory ihren eigenen Roman schreibt. Bsp.: Harriets Lästern über den Stil und die Logik trivialer Kriminalromane und deren Autoren. (vgl. Zitat, I.1)

Es wurde auf den Widerspruch in Vanes Aussagen verwiesen. Bezüglich ihrer Schriftstellerkolleginnen spricht sie davon, dass Leben sähe nicht so aus, wie diese es in ihren unterkomplexen Büchern beschreiben, in Wirklichkeit sei alles viel komplizierter. Aber Vanes Text – und Sayers auch – sind dem selben Krimikonzept treu und verwenden die selben Grundstrukturen: In einem abgeschlossenen Raum wird ein Verbrechen begangen. Dieses Schema „verkauft“ sie dem Leser allerdings als wirkliches Leben (Sayers 219), indem sie den geschlossenen Raum (früher z.B.: Zug, Schloss …) auf den vermeintlich offeneren Campus ausdehnt.

→ Erkennt Vane diesen Widerspruch selbst und will deswegen am Ende des Romans ihren eigenen Roman umschreiben? Impliziert ihre Hinwendung zu einem subjektzentrierten Roman eine Abkehr vom Genre des Kriminalromans? Wie verhält sich die Autorintention von Vane zur Intention von Sayers?


Krimikonzept allgemein:

Wie stark braucht Berliner Aufklärung und Gaudy Night im Gegensatz zum Campus den Raum Universität, um die Kriminalgeschichte zu entwickeln? Als These wurde vorgebracht, dass in Schwanitz´ Werk die Universität auch durch eine andere Institution (z.B. Firma) ersetzt werden könnte, ohne dadurch den Aufbau der Kriminalgeschichte zu stören. In diesem Zusammenhang fiel aber auf, dass Phänomene, wie z.B. „harassment“ (z.B. Prof. – Student), an der Uni begünstigt auftreten (eher als vielleicht in einer Firma).
Gleichzeitig stellte man für manche Universitätsromane fest, dass die zentralen Faktoren des Mordes nicht mehr ausschließlich an die Institution Universität gebunden sind (Berliner Aufklärung). Hierbei wurde verwiesen auf den Gegensatz von „Trivialroman“, bzw. „Höhenkammliteratur“.
Ähnlich wie der Raum ‚Uni’ auf diese Weise nur als Rahmen benutzt wird, wird auch der wissenschaftliche Diskurs im Text nur noch am Rande dargestellt oder trivialisiert. (Berliner Aufklärung).
Anders als im „klassischen Kriminalroman“, kommt es im Universitätskrimi weniger auf die Rätselstruktur und deren Darstellung an, als vielmehr auf die Einbettung der Mordgeschichte in eine Milieustudie.

Eva Esslinger und Moritz Gekeler

Campus Novels – Universitätsromane: Schriftstellerwissenschaftler

Julia Plajer: Schriftstellerwissenschaftler Lodge – Bradbury- Schwanitz


Dorothea Dieckmann: Kitsch oder Kunst? – Wenn Literatur zum Geschwätz verkommt. Plädoyer für die Wiedereinführung des Begriffs Trivialliteratur

URL: http://www.zeit.de/archiv/2001/48/200148_l-literatur.xml


Inhalt

1. Trivialliteratur

2. Lodge

3. Bradbury

4. Schwanitz

5. Schriftstellerwissenschaftler Trivialität/Banalität



Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 13. November 2003

 

1. Sind eigene Aussagen des Autors zu seinem Werk zu berücksichtigen?

Es wurde festgestellt, dass der Eigenaussage des Autors kein zu großer Stellenwert beigemessen werden sollte. Die Frage, ob Schwanitz in seinem Roman Der Campus bereits einen Bildungsanspruch wie in „Bildung – alles, was man wissen muss“ verfolge, sei nicht angemessen. Schwanitz wollte seine Leser damals nicht bilden, sondern die Bildungsdebatte auf ein anderes Niveau bringen.

 

2. „Der Campus“ – Trivialliteratur?

Strittig war, ob Der Campus als Trivialliteratur zu bezeichnen sei. Die Frage kam auf, ob dieser Roman nicht als kulturhistorisches Dokument zu sehen sei, da zeitgenössische kulturelle Themen und Probleme behandelt würden, wie Machtspiele, Konkurrenzkampf, Geschlechterrollen usw. Festgestellt wurde, dass ein fiktionaler Text keinen Dokumentcharakter hat. Das Dokument könne zwar als kulturhistorisches Zeichen gesehen werden, dies treffe aber auch auf jeden anderen Text zu, da er immer in einem historischen Kontext stehe.

An dieser Stelle wurde angemerkt, nicht was, sondern wie es dargestellt werde, sei ausschlaggebend, denn Schwanitz arbeite mit Klischees und Stereotypen und verwende Schemata der Trivialliteratur. Er setze diese Schreibstrategie im Bewusstsein der Inszenierung ein. Auch das rezeptionsästhetische Argument sei wichtig, da er bedürfnisorientiert schreibe. Diese Art von Literatur sei konsumierbar und diene der Zerstreuung. Der klischeehafte Schreibstil sei nicht ganz kunstlos, denn er folge bestimmten Prinzipien.

Céline Genschke und Annette Gschwilm

Campus Novels – Universitätsromane: Satire

Katja Nagel: Die Satire


Inhalt

1. Definition und Abgrenzung

2. Überblick zur Gelehrtensatire

3. Merkmale des Gelehrten und seines Umfeldes

 

„Die Satire“
Ergebnisprotokoll der Sitzungen vom 20. und 27. November 2003

 

1. Wie kann die Satire von der Parodie abgegrenzt werden?

Doppelstimmigkeit im Sinne von Bachtin steht zunächst in engem Zusammenhang mit beiden Gattungen. Sie funktioniert aber bei der Parodie über Textvorlagen, d. h. über eine sprachlich-stilistische Folie. Dagegen ist bei der Satire die Kenntnis bestimmter gesellschaftlicher Umstände als Verständnisfolie wichtig.

Die Satire kann sich parodistischer Strategien bedienen. Die Parodie kann also Teil der Satire sein; die Umkehrgleichung gilt hingegen nicht.


2. Wie ist das Verhältnis zwischen Autor, Leser und Satire-Opfer?

Das Verhältnis Leser–Satireopfer ist bei der Satire immer wichtig. Damit die Satire funktioniert, muß der Leser adressiert werden (Aggression).

Die Wirkung einer Satire kann abgeschwächt werden, wenn sich eine „Allianz“ zwischen Autor und Leser bildet. Autor und Leser teilen in diesem Fall ein bestimmtes Wissen. Insofern gibt es zwischen akademischem Leser und satirischem Opfer eines Campus-Romans ein besonderes Verhältnis, denn beide gehören derselben Szenerie an. Durch die literaturwissenschaftlich geprägte (metaliterarisch informierte) Rezeptionsgemeinschaft wird der Satire das Aggressive genommen (Bsp. Lodge).


3. Nachbesprechung zum Thema „Satire“

Diskussionsfragen:

1. Inwieweit wäre es sinnvoll, die Gelehrtensatire als direkten Vorläufer des Universitätsromans zu sehen, und somit eine längere Tradition zu schaffen?

2. Sind Der Campus und History Man als Gelehrtensatiren zu verstehen?
Wo sind Unterschiede zu Changing Places zu sehen?

Zu: 1. Aufgrund des Vorkommens satirischer Merkmale in den campus novels ist es durchaus sinnvoll, die beiden Gattungen in Verbindung zu setzen; dennoch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die Universitätsromane multifigurale Romane sind, die vom Grundmuster der Gelehrtensatire abweichen. Die Merkmale der Gelehrtensatire, wie zum Beispiel die Charakterisierung des Gelehrten, die in der älteren Gattung auf eine Person konzentriert sind, verteilen sich in den campus novels auf mehrere Charaktere. Von den im Seminar behandelten Romanen zeigt Nabokovs Pnin noch die größte Ähnlichkeit zu der Gelehrtensatire. Bildungsinstitute selbst spielen in der modernen Gattung eine bedeutend größere Rolle als in den älteren Satiren. Weil ein Fokuswechsel stattfindet, findet auch ein Wechsel der Gattung statt. Reversierend zum deutschen Pendant steht im anglo-amerikanischen Universitätsroman ein einzelner Figurentypus im Mittelpunkt, wobei das Hauptaugenmerk damit auf der Behandlung des Figurentypus und damit auch auf dem Disziplinentypus liegt.

Es stellt sich die Frage, wer eigentlich eine Tradition schafft und durch was sie geschaffen wird:

→ Autor: Wollen die Autoren eine Tradition schaffen? Haben sie Gelehrtensatiren gelesen?

→ Rezipient: Ist der Rezipient ein „normaler“ Leser, dann ist es relativ irrelevant; ist der Rezipient aber ein „literaturwissenschaftlicher“ Leser, der zudem aus der Literaturkritik stammt, bekommt seine Meinung Bedeutung, weil er eine kanonbildende Instanz ist.

Zu: 2. History Man und Der Campus erheben einen höheren Anspruch an den Leser und kritisieren stärker, während der implizierte Autor in Changing Places nach Connery eine Allianz mit dem implizierten Leser bildet und letzterer deswegen kein Opfer der Satire mehr sein kann, da sich Autor und Leser auf der Metaebene der Selbstreflexion treffen. Weiter muss bei Lodges Roman genau zwischen der Satire und satirischer Schreibweise unterschieden werden.

Wie geht es den Lesern anderer Kulturen in Bezug auf die Fragestellung nach der Satire? Macht es einen Unterschied, ob man aus demselben System stammt? Hierbei sollte man bedenken, dass es sich nicht um reale, sondern zumeist um fiktionale Texte handelt und in diesem Fall ist ein eigener kultureller Standpunkt von keiner großen Bedeutung. Der Unterschied liegt höchstens in einem veränderten Verständnis für Humor (Humorkonzept; Humor ist kulturbedingt verschieden). Greift man auf die These des Universitätsromans als Milieustudie zurück, so ist es nicht wichtig, aus welchem Milieu man stammt, um den Humor nachvollziehen zu können. Und ebenso verhält es sich bezüglich kultureller Unterschiede.

Der Gebrauch von Fremdwörtern, der dem Handout nach ein Merkmal des Gelehrten ist, kann nicht als Beweis gesehen werden, dass die eine Gattung wirklich an die andere anschließt. Betrachtet man jedoch die Szene in Bradburys History Man „mit den dummen Mädchen, die versuchen, sich wissbegierig zu inszenieren“, dann scheint es sich doch eher um eine Form von Studentensatire zu handeln. Dieser Blick ist eine soziologische Analyse der Lage bei der die wissenschaftliche Terminologie als Charakterisierung eingesetzt wird.

→ satirisch populär­wissen­schaftliche Darstellung (s. Bradbury: 1975, S. 68). Die Terminologie allein macht noch keine Satire. So wird sie bei Lodge im Gegensatz zu Schwanitz nicht satirisch eingesetzt.

Celine Genschke (Abschnitte 1-2)
Gordana Kelava und Danica Krunic (Abschnitt 3)

Campus Novels – Universitätsromane: Intrigen

Ilka Sundermann: Das Intrigenspiel im Campus Novel


Inhalt

1. Wortgeschichte und Definitionsansatz zur Intrige

2. Konstruktionsrelevante Gesichtspunkte des Idealtypus „Intrige“

2.1 Die Verhaltensstruktur „Intrige“

2.2 Der Intrigenkontext

3. Inhaltsanalysen der beiden Werke in Bezug auf das Merkmal Intrige

3.1 David Lodge: Small World

3.2 Dorothee Nolte: Die Intrige


„Die Intrige“

Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 27. November 2003

1. Kleine allgemeine Einleitung

Die Intrige ist ein zentrales Sujet in Inhalt und Aufbau von Universitätsromanen. Durch sie erfahren Texte, die unter dem Makel der Trivialliteratur leiden, eine Aufwertung, denn die Stärke von manchen banalen Texten liegt in der Intrige. So gibt es bei Noltes Die Intrige einen soziologischen Ansatz der nicht gleich augenscheinlich ist.


2. Wortgeschichte und Definitionsansatz zur Intrige

Formal betrachtet, handelt es sich bei der „Intrige“ um einen „Scharnierbegriff“. Der Intrigenbeg­riff steht zwischen der Handlungsebene und der Komposition. Auf der Grundlage der soziologischen Studie von Richard Utz bedeutet die Handlungskomposition des Textes selber eine Intrige. Die französische Bezeichnung mise-en-intrigue macht dies besonders deutlich. Im deutschsprachigen Raum findet man die Intrige als Handlungskomposition eher im Drama. Hier geht es um Machenschaften und die Schürzung des Knotens.

Die Universität ist ein hierarchisch gegliederter Ort, in dem Mobbing praktiziert wird, aber in der es nicht immer unbedingt um Aufstieg und Beförderung geht.


3. Konstruktionsrelevante Gesichtspunkte des Idealtypus der Intrige

Frage: Was benötigt eine Intrige, um gesponnen zu werden?

Eine Intrige beruht auf der triadischen Struktur Intrigant – Intrigenopfer – Intrigenvollstrecker. Doch ist es nicht immer einfach, die einzelnen Positionen exakt zu bestimmen. Hilfreich hierbei ist der Austausch von literaturwissenschaftlichen und soziologischen Modellen, wie etwa in diesem Fall das Heranziehen des Aktantenmodells nach Greimas (s. Keller, Hafner: 1986, Kap. 10). Das Aktantemodell weist den einzelnen Positionen eine Funktion zu. Hierbei gilt es zu unterstreichen, dass der Aktant auch ein allgemeines Prinzip sein kann, also nicht zwingend eine Person sein muss. Jede Aktantenposition kann durch mehrere Aktoren besetzt werden. Das Modell wurde hauptsächlich bei Märchen und Krimis angewandt, kann jedoch problemlos und fruchtbar auch auf alle anderen Textsorten angewendet werden.


4. Inhaltsanalysen der beiden Werke in Bezug auf das Merkmal Intrige

David Lodge: Small World

Die Handlung in Small World ist keine klassische Intrige. Die Intrige wird nicht offen inszeniert, sondern ist stets latent vorhanden: Immer wieder sind Sticheleien zu erkennen, doch keine offen gesponnene Intrige. Obwohl im Roman ein ganzes „Gewirr“ von Intrigen besteht, spielt sie nur eine untergeordnete Rolle.

Bei der möglichen Intrige um den Unesco-Lehrstuhl wird aus dem Intrigenvermittler der Intrigant. Aus diesem Grund ist es ziemlich schwer am Ende noch das Opfer zu erkennen. Der Professor, der die Auswahl für den Lehrstuhl hatte, hatte sich während des Geschehens noch selbst nominiert. Es stellt sich die Frage, ob dies von vornherein geplant war oder tatsächlich erst spontan entschieden wurde.

Doch will man von einer Intrige sprechen, ist es wichtig, ob diese von Beginn an geplant war. Dies ist hier nicht der Fall. Arthur Kingfisher ist vielleicht ein „Intrigant wider Willen“. Der Intrigenprofiteur muß nicht gleich dem Intriganten sein, d.h. er profitiert, obwohl er es anfänglich vielleicht nicht wollte. Es herrscht eine Abweichung der Konstruktion. Entscheidend ist der Blick auf das Kräfteverhältnis.

Dorothee Nolte: Die Intrige

Die Inszenierung der Intrige findet auf mehreren Ebenen statt.

Thematisierung auf intradiegetischer Ebene

Das von den Hauptfiguren besuchte Seminar widmet sich der Intrige, auch werden interessante postmoderne Themenstellungen zur Intrige zitiert, ohne jedoch weiter ausgeführt zu werden. Dabei wird der Leser auf eine falsche Fährte geführt: Hier erwartet er einen theoretischen Diskurs über die Intrige, es bleibt aber bei einem Zitieren einer Auswahl von Themen. Theoretische Überlegungen zur Intrige findet man verstreut an anderen Textstellen (siehe unten).

Strukturierung des Plots

Es gibt mehrere sich abwechselnde Intrigenstränge, die beiden wichtigsten sind die Geschichte der Magistrandin Britta (Autorin Ottone) und die des Jurastudenten Jonas (Professor Bauer). Beide Stränge werden verknüpft an einer relativ belanglosen Stelle in der Figur des Ghostwriters. Die Struktur des Textes verwirrt den Leser. Er fragt sich, wie die beiden Erzählstränge substanziell zusammenhängen. Er wird, ähnlich wie ein Opfer einer Intrige, irritiert und getäuscht.

Selbstreflexive Metaebene

„Merken sie denn nicht, dass die Intrigen künstlich aufgebaut, die Handlung unwahrscheinlich, die Figuren holzschnittartig waren, dass, kurz, im Unwesentlichen etwas Wesentliches vorgetäuscht worden ist.“ (S. 105)

Diese Gedanken von Hans können als Metastelle als Verweis auf die Leerstelle im Buch gelesen werden. Denn genau das, was Hans an dem Lesestoff der Sekretärin bemängelt, kann man an Noltes Buch Die Intrige ebenfalls beanstanden: eine stereotype Figurendarstellung und eine unwahrscheinliche Konstruktion der Handlung.

Eine Deutung als ironische Selbstrelativierung würde zum sonstigen postmodernen Duktus des Romans passen.


5. Kontrast zweier Wissensbegriffe

Bei der Intrige geht es darum, Wissen als Kapital einzusetzen, um die Intrigenaktion in Gang zu bringen.

Intrigenwissen ist nicht akademischem Wissen gleichzusetzen; es handelt sich hierbei nur um Kenntnisse, die anderen Schaden zufügen könnten.

Die Intrige und damit das Intrigenwissen wird in den Campus Novels in der Universität angesiedelt, in der es eigentlich um akademisches Wissen gehen sollte, jedoch wird nicht wissenschaftliches Wissen, sondern eben das Intrigenwissen angestrebt. Die Gegenüberstellung der beiden kontrastierenden Wissensbegriffe erzeugt ironische Spannung.

Daß die Intrige sich um das Plagiat entspannt, bringt die text- und literaturtheoretisch wesentliche Problematik von Echtheit/Originalität/Kopie auf.

Gordana Kelava und Danica Krunic (Abschnitte 1-4)
Melanie Lauer und Elisabeth Mader (Abschnitte 5-6)

Campus Novels – Universitätsromane: Interkulturalitaet

Danica Krunic, Fani Paraforou und Daniela Schuld:
Die Universität im interkulturellen Kontext


Inhalt

1. Interkulturalität
1.1. Einleitende Grundüberlegungen
1.2. Begriffsbestimmung „Interkulturalität“
1.3. Migrationsbewegungen

2. Die amerikanische Universität
2.1. Vladimir Nabokov: Pnin
2.2. David Lodge: Changing Places (amerikanische Aspekte)
2.3. Martin Walser: Brandung

3. Die englische Universität
3.1. David Lodge: Changing Places (englische Aspekte)
3.2. Javier Marías: Alle Seelen

4. Diskussionspunkte

 

1. Interkulturalität

1.1 Einleitende Grundüberlegungen


Relevanz interkultureller Kompetenz in Zeiten der Migrationsbewegungen und angesichts der fortschreitenden Globalisierung

Sonderstellung des anglo-amerikanischen Raums: Kulturelle Heterogenität

Besonderheit des Lebens auf dem Campus: Synthetische Funktion

These: Der Campus, als ein von der gesellschaftlichen Umwelt abgeschlossenes Universitätsgelände und -system, schafft einen Grenzraum – vergleichbar dem Prozess der Grenzziehung, mit der Identitäten gestiftet werden: Einerseits grenzt sie ab, anderseits verbindet sie.

Die Wissenschaft – und insbesondere die Geisteswissenschaften – schlagen als verbindendes Medium eine Brücke zwischen den verschiedenen Kulturen. Dadurch reduzieren sich die Diskrepanzen, und die Wahrscheinlichkeit einer Ausgrenzung aufgrund kultureller Andersartigkeit wird geringer.


1.2 Begriffsbestimmung „Interkulturalität“

Interkulturalität ist ein theoretisches Konzept. Ausgehend von einem dynamischen Interaktionsverhältnis der Kulturen meint es die Akzeptanz von Verschiedenheit, die Ausbildung entsprechender Haltungen und die Aneignung der Fähigkeit zu Perspektivwechsel ebenso wie die Fähigkeit zu gesellschaftlicher Kohärenz.

Interkulturalität manifestiert sich in der grenzüberschrei­tenden Bewegung von Sprach- und Kulturgrenzen, wobei ständig die Perspektive verkehrt wird. Bei dem Prozess der Interkulturalität wird der Beobachter beobachtet: Durch den fremden Blick verliert die lokal heimische Kultur zwar ihre fest gefügte, authentische Identität, gewinnt dafür aber an Spielraum für Neuinterpretationen der regionalen Identitäten.

1.3 Migrationsbewegungen

Das späte 19. und das 20. Jahrhundert sind geprägt von Migrationsbewegungen:

kontinentale Auswanderung nach Ost- und Südosteuropa
überseeischer Massenexodus: Die Neue Welt

Der schmerzvolle Verlust der heimischen Kultur und der Kontakt zu den ihnen vertrauten Menschen waren zudem begleitet von schwierigen, komplexen und lang­wierigen Prozessen wie etwa dem Erlernen einer neuen Sprache und der Integration in die andere, fremde Kultur. Die Aufzeichnungen von verbannten Schriftstellern und Intellektuellen nehmen eine Mittlerfunktion zwischen den beiden Kulturen ein. Aus der Fremdheit der Migranten können wiederum Rückschlüsse auf die „spezifische Eigenart der Einheimischen“ gezogen werden. Auf diese Weise bringen Migranten „den fremden Blick in die eigene Kultur ein“.

→ Motiv des kulturellen Außenseiters, Perspektive des „alien abroad“


2. Die amerikanische Universität

private Hochschulen (etwa 60%) – staatliche Hochschulen (etwa 40%)
Universities – Colleges – Community Colleges – Institutes
autonome Organisation
strenge Funktionshierarchie, die die Hochschule nach außen stärkt
Lebenswelt für sich („campus community“)
Finanzierung: Studiengebühren (8000 bis 25000 US$/Jahr), Staatskasse (etwa 30%), private Hand, Drittmittel, Stiftungen
Undergraduate (Associate Degree, Bachelor Degree) – Graduate (Master’s Degree, (Research-) Doctor’s Degree)


2.1. Vladimir Nabokov: Pnin

In Pnin greift Nabokov ein allgemeines gesellschaftliches Problem auf, welches auf ein darüber hinaus typisch zeitgebundenes Kulturphänomen hinweist: Er zeichnet den Typus des in den Wurzeln Russlands verankerten Emigranten, der in die Neue Welt aufgebrochen ist, sich jedoch nicht mit ihr arrangiert.

In jenen Werken, die dem Problemkreis der Emigration gewidmet sind, lässt sich eine doppelte Bedeutungsebene beobachten: Auf der biographischen zeichnet sich ein eindeutiger multidirektional gerichteter Grenzwechsel ab, auf der Textebene hingegen konzipiert er eine diesem konträre Variante von Monodirektionalität

→ Reflexion seiner anhaltenden Verbindung zur heimatlichen russischen Kultur

→ Aneignung der amerikanischen Kultur

Vladimir Nabokov – Timofey Pavlovich Pnin

Multidirektional gerichteter Grenzwechsel

Monodirektional gerichteter Grenzwechsel

Mehrsprachige Erziehung

Gebrochene russisch-amerikanische Diktion

Unproblematische Integration

Ablehnung des Nationalcharakters Amerikas

Der Russe in Amerika: Professor Timofey Pavlovich Pnin führt ein scheinbar trauriges Außenseiterdasein. Als russischer Emigrant unterrichtet er in einer kleinen abgelegenen und unbedeutenden Universität in Waindell die Sprache und Literatur seiner Heimat. Die geringe kulturelle Bedeutung der Russisch-Abteilung wie auch seine unsichere Anstellung als Assistenzprofessor deuten bereits auf seine Ersetzbarkeit hin. „Sein persönlicher Stil und sein schlechtes Englisch machen ihn zu einer Witzfigur des Campus und zum unterhaltsamen Gesprächsstoff aller Institutsparties.“[1]

Dennoch:

[…] he was not altogether miscast as a teacher of Russian. He was beloved not for any essential ability but for those unforgettable digressions of his, when he would remove his glasses to beam at the past while massaging the lenses of the present. Nostalgic excursions in broken English. Autobiographical tidbits.[2]

Kulturelles Gedächtnis im Exil: Pnin verspottet die amerikanische Kultur wie auch den amerikanischen Universitätsbetrieb („Plastikworte“, „Forschungstollerei“). Seine Gedanken sind rückwärtsgewandt; begleitet von nostalgischen Ausflügen in die Vergangenheit perpetuierten sie das kulturelle Gedächtnis Russlands und bieten ihm einen Identitätsraum.

Während Pnin innerlich seiner russischen Vergangenheit verhaftet bleibt, wünscht er sich doch, nicht länger einer Minderheit anzugehören und bemüht sich schließlich äußerlich um einen gewissen Grad an Assimilation (sonnen[bank]gebräunt, Kauf einer Windjacke, einer kessen Mütze und eines grellen Sporthemdes). Doch ist es gerade dieses Verkleidungsszena­rium eines Angehörigender russischen Intelligenzija, der ihn umso lächerlicher erscheinen lässt. Ebenso wie seine Unvereinbarkeit zwischen der Vergangenheit in Russland und der Gegenwart in den Vereinigten Staaten zu vermitteln. „Das Exil macht aus ihm einen lebenden Anachronismus“[3] → tragikomische Pointe

Professor Pnin – Eine besondere Gelehrtenpersönlichkeit: Entgegen der Lesererwartung zeichnet Nabokov hier nicht den Stereotyp eines zerstreuten Professors. Zwar charakterisiert Nabokov einerseits seine Hauptgestalt als „idiosynkratischen Gelehrten, der sich von seinem amerikanischem Umfeld auffällig abhebt“[4], der glücklos und als skurriler, tölpelhafter Professor, von einem Missgeschick zum nächsten stolpert. Doch andererseits betont er auch Pnins „Sensibilität, Aufrichtigkeit und Herzensgüte“ inmitten einer „fremden, kalten Welt […], die er nicht versteht und von der er sich unverstanden fühlt“ [5]. Tatsächlich repräsentiert Pnin genau nicht den Typus jenes geistesabwesenden weltfremden Professors; vielmehr verkörpert er dessen Gegenstück. Doch ist es seine allzu große Vorsicht vor den Hinterhalten des Lebens, die ihn zu komisch wirkenden Überreaktionen führt.

In Pnin wird nicht nur das Stereotyp des zerstreuten Professors hinterfragt, sondern auch das des karrieristischen Professors, der alles daran setzt, sich durch Betriebsamkeit im Betrieb zu profilieren (wie etwa in David Lodges Schnitzeljagd), konterkariert. So wendet er sich gegen das Bestreben seiner Fachkollegen, seine wissenschaftlichen Bemühungen an Effektivität oder marktwirtschaftlicher Verwertbarkeit zu orientieren. Pnin überwindet die Kluft zwischen Wissenschaft und Lebenspraxis und integriert seine wissenschaftliche Forschungs­arbeit in lebensweltliche Aktivitäten. Trotz seiner anstehenden Rationalisierungs­maßnahme erwägt man, ob Pnin, dessen breit gefächertes Wissen rein theoretisch eine flexible Austauschbarkeit ermöglicht, nicht ersatzweise eine andere Aufgabe übernehmen könnte. Doch Pnin durchbricht die akademische Hierarchie – und hier zeigt sich seine Überlegenheit gegenüber seinen Fachkollegen – und begegnet dem Funktionalitätsgedanken seiner Ersetzbarkeit durch seinen Weggang von Waindell, mit dem er sich wiederum seine Unabhängigkeit und Würde bewahrt. Während seine Kollegen nur „raisons“ des Kopfes haben, besitzt der russische Emigrant Pnin mehr Weltkenntnis und hat sich auch eine „raison“ des Herzens bewahrt!


2.2 David Lodge: Changing Places (amerikanische Aspekte)

Morris Zapp ist der Prototyp des amerikanischen Professors: ein hochkarätiger Wissenschaftler mit vielen Veröffentlichungen (Jane Austen-Experte), der allerdings in seiner Midlife-Crisis steckt. Weiterhin ist er ein Amerikaner mit Herz und Seele, der Amerika bis zu seinem Austausch hin noch nie verlassen hat.

„Produkt“ des amerikanischen Bildungssystems.

Die State University of Euphoria (komisch überhöhte Version der sonnig-hedonistischen University of California, Berkeley) ist eine der bedeutendsten Universitäten Amerikas, ausgestattet mit einem exklusiven Campus. Allein der FB Anglistik ist fast so groß wie die Philologische Fakultät von Rummidge. Charakterisierend für den Lehrbetrieb sind politisches Heckmeck, das „Gesetz des Dschungels“, Intrigenreichtum, Bürokratie, aber auch Cocktailparty-Kultur und Bücher in Massen. Studentenunruhen/Unruhen wegen des Garten des Volkes verwandeln den Campus fast in ein Schlachtfeld. Euphoria selbst besticht durch eine schöne und harmonische Landschaft mit subtropischer Vegetation.

Der Engländer in Amerika: Philipp Swallow war schon vor dem Austausch in Amerika ( Stipendium) und freut sich auf den Austausch, den er als Chance ansieht. Er ist in Amerika ein guter Pädagoge, der bei den Studenten ankommt, bezüglich seiner Kollegen allerdings eine Außenseiterrolle annimmt. Ihn wundert die eigenartige Textkenntnis seiner Studenten, und er entdeckt während des Aufenthaltes Verständnis für die amerikanische Literatur. Die Erfahrungen mit Hippie-Studenten, die Verhältnisse mit Melanie Byrd und Désirée Zapp, die Studentenunruhen (eher „Mitläufer“ als Aktivist) machen einen völlig anderen Menschen aus ihm, einen Wanderer zwischen zwei Welten. Er kann sich mit der Idee der Auswanderung anfreunden, hat aber aufgrund des fehlenden Doktorgrades keine Chance eine Anstellung zu erhalten.

Das in Changing Places gezeichnete Amerika-Bild ist im Allgemeinen sehr positiv, wenn auch negative Aspekte aufgezeigt werden. Der „fremde Blick“ wird für den Leser in den ersten beiden Kapiteln durch den auktorialen Erzähler inszeniert (Kommentare, Figurenzeichnung), im dritten durch die Briefe der Protagonisten, im vierten durch Berichte, Flugblätter u.ä. Im fünften Kapitel wird dagegen mehr die persönliche Veränderung der Protagonisten thematisiert, das sechste dient „nur“ als Schluß.


2.3 Martin Walser: Brandung

In Brandung wird die Weltfahrt des Protagonisten Helmut Halm aus der Enge seines Stuttgarter Studienratsdaseins „ins Gelobte Land“ und die enormen Herausforderungen dargestellt, die ihm durch Kalifornien und ganz spezifisch durch den amerikanischen Campus gestellt werden. Die als Ritualen beschriebenen Veranstaltungen, an denen er teilnimmt, funktionieren zum größten Teil als Reminiszenz an die deutsche Bildungsbürgerkultur inmitten der amerikanischen Welt und machen die kulturellen Differenzen deutlicher.

Doch durch seine Liebe zu der Studentin Fran erhält sein Amerika- Aufenthalt seinen eigentlichen Akzent, eine Liebe, die auf der Ebene der Literatur bzw. der Sprache ihren Ausdruck findet. Sie besprechen gemeinsam literarische Werke, die zu ihrem größten Teil englisch und amerikanisch sind; diese Tatsache wirkt als eine Art „Zugeständnis an den spiritus loci; besonders ein amerikanischer Text hat die Sekundärfunktion, Halm eine über Alltagserfahrungen hinausgehende und mit der Meisterung des Englischen verknüpfte zusätzliche Dimension für die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Amerika zu bieten.“[6]

Die bereits skizzierte Situation wird auf der Text- Ebene durch einen gewissermaßen objektiven Er- Erzähler vermittelt, der den „fremden Blick“ der Hauptfigur beobachtet und dementsprechend einen gewissen bzw. kritisch- ironischen Abstand zu den Dargestellten erhält. Außerdem handelt es sich um einen Roman, in dem das Zitathafte entscheidende Rolle spielt, denn die Handlung spielt sich hauptsächlich im Rahmen der Zitate ab.


3. Die englische Universität

Universities – Universitiy Colleges
old universities (Oxford, Cambridge) – civic universities (Birmingham, Liverpool) – new universities
Selbstverwaltung: Vergabe von Studienplätzen, Abschlüsse, Personal
Finanzierung: Studiengebühren, Zuschuss vom Staat
Access und Foundation Courses (Bridging Courses) – Undergraduate (Higher National Diploma, University Foundation Degree, Bachelor’s Degree) – Postgraduate (Postgraduate Certificates, Postgraduate Diplomas, Master’s Degree) – Research Degrees (Master of Philosophy, Doctor of Philosophy)


3.1 David Lodge: Changing Places (englische Aspekte)

Philipp Swallow ist der Prototyp des englischen Professors: Er besitzt keinen Doktorgrad („nur“ Master), hat kein Fachgebiet, kann keine Veröffentlichungen nachweisen, ist aber ein exzellenter Prüfer. → „Produkt“ des englischen Bildungssystems

Die University of Rummidge (→ komisch überhöhte Version der englischen Provinzuniversität) ist eine mäßige Universität (Größe, Ansehen). Das britische Universitätssystem ist gekennzeichnet durch das Prinzip heimlicher Protektion, und wer einmal eine Stelle als Dozent hat, hat sie immer (Folge: „faule“ Dozenten?). Die Atmosphäre an der Universität zeichnet sich durch Toleranz und gute Beziehungen zwischen Lehrenden und Studenten aus, was sich auch an den „gemäßigten“ Studentenunruhen zeigt. Rummidge (→ Birmingham; Mischung aus „rubbish“ und „porridge“) selbst ist eine typische englische Industriestadt ohne nennenswerte Reize.

Der Amerikaner in England: Morris Zapp nimmt nur in der Hoffnung seine Ehe retten zu können an dem Austausch teil. Er hat keinen Respekt vor den englischen Wissenschaftlern und ausnahmslos negative Vorurteile bezüglich England. So beginnt sein Leben an der Universität mit Spott und Verwunderung über die dortigen Zustände (Schwarzes Brett, „Ferienbetrieb“, Tutorien statt „System“, schwierige Buchbeschaffung), und er ist zunächst sehr einsam (Zurückhaltung der anderen Dozenten bis zur Rückkehr des Vorsitzenden des FB Anglistik). Das wachsende hohe Ansehen bei den Kollegen in Rummidge (Funktion als Berater/Vermittler) und das Verhältnis mit Hilary bewirken bei ihm eine große Veränderung: Er sieht die Reize der modernen Stadt Rummidge (und damit Englands) fühlt sich dort wohl und überlegt ernsthaft, den ihm angebotenen Lehrstuhl für Anglistik anzunehmen. → Lernprozess

Das in Changing Places gezeichnete England-Bild ist zunächst negativ (auktorialer Erzähler, Swallow, Zapp), wird aber im Verlauf des Romans „positiviert“.

→ Vgl. 2.2.


3.2 Javier Marías: Alle Seelen

Der anonyme Ich- Erzähler stellt sich als ein ›Fremdkörper‹ in der geschlossenen Lebenswelt der Oxford Universität wie auch in der Stadt Oxford selbst dar, indem er bestimmte Gefühlszustände beschreibt, die von ihm als „perturbaciones“ bzw. Verwirrungen definiert werden und wobei die Liebesbeziehung zu Clare Bayes den Leitfaden darstellt. Aufgrund des vorübergehenden Charakters seines Aufenthalts in Oxford und eines gewissen u. a. auch zeitlichen Abstands davon (er erzählt das alles nach seiner Rückkehr nach Madrid, wenn er schon in der Welt ist) porträtiert er mit einer gewissen Ironie aber doch kaleidoskopartig die Universität, die Stadt und ihre Bewohner, begleitet immer von Vergleichen mit den Madridern bzw. den „Mittelmeermenschen“; nicht nur Professoren, sondern auch Studenten, wie aber auch Randmenschen werden dabei grotesk beschrieben. Die Universität Oxford bzw. die Stadt selbst (diese zwei Lebenswelten werden von dem Ich- Erzähler gewissermassen als identisch wahrgenommen) mit ihren Verwirrungen (denn die Stadt selbst befindet sich außer der Welt bzw. in einem Verwirrungszustand, der auch in der Gefühlwelt der Hauptfigur ausgelöst wird) stellen nämlich eine geschlossene monotone Welt mit einem eintönigen Rhythmus (die periodisch wechselnden high tables, die als sinnlose Rituale karikiert werden, machen dieses Klima deutlich), Elemente die die verwirrende Fremdheitsgefühle und die Anonymität der Hauptfigur verstärken.

Zur Vermittlung der skizzierten Thematik weist der Text bestimmte ästhetisch- literarische Merkamle: es wird besonders auf die Form und die Komposition geachtet, das Pastiche bzw. der Fragmentarismus wird reichlich praktiziert und zwar zum Ordnungsprinzip aufgehoben. Überdies stellt diese Vermittlungsaufgabe eine Herausforderung an den Erzähler selbst, der -identisch mit dem Beobachter, aber schon am Anfang klar vom Autor distanziert- immer auf das reflektiert, was er erlebt (Abstraktion der Handlung → Rolle des Lesers).


4. Diskussionspunkte

Welche Unterschiede/Gemeinsamkeiten lassen sich bei den verschiedenen Amerika-/England-Bildern erkennen?
In welcher Form beeinflussen die Erzählverfahren den „fremden Blick“?


5. Literatur

Dobiáš, Dalibor, Huber, Petra und Koschmal, Walter: Modelle des Kulturwechsels – Eine Sammelmonographie. In: Forschungsverbund Ost- und Südosteuropa. München 02/2003. URL: http://www.fak12.uni-muenchen.de/forost/fo_library/forost_Arbeitspapier_11.pdf

Goch., Martin: Der englische Universitätsroman nach 1945: „Welcome to Bradbury Lodge“, Trier 1992.

Hausstein, Alexandra: Interkulturalität. In: Ralf Schnell (Hg.): Kultur der Gegenwart. Metzler Lexikon. Stuttgart 2000.

Himmelsbach, Barabara: Der englische Universitätsroman, Frankfurt/Main u.a. 1992.

Imhof, Rüdiger: Akademia im Roman, in: Radikalität und Mäßigung. Der englische Roman seit 1960, hg. v. Annegret Maack/ Rüdiger Imhof, Darmstadt 1993.

Knecht, Maria-Regina: Das Groteske im Prosawerk von Vladimir Nabokov. Bonn 1983, S. 123-131.

Lodge, David: Changing Places. A Tale of Two Campuses, England: Penguin Books 1978.

Marías, Javier. Todas las Almas. Alfaguara. 1998

Mews, Siegfried: Martin Walser Brandung: ein deutscher Campus- Roman? In: The German Quarterly 60, 1987, 220-236

Nabokov, Vladimir: Pnin. Hamburg 1995.

Schmeling, Manfred, Emans-Schmitz, Monika und Wastra, Kerst (Hg.): Literatur im Zeitalter der Globalisierung. Würzburg 2000.

Toro, Alfonso de: Die falsche Autobiographie oder die Metamorphosen von Autor und Erzähler. Ein Gespräch mit dem spanischen Schriftsteller Javier Marías, in: Revue der Iberischen Halbinsel, 23, 1991, 23-26

Walser, Martin. Brandung. Suhrkamp. 1999

Internet:

www.college-contact.com/d/uk/info/system/abschluesse.htm

www.college-contact.com/d/uk/info/system/aufbau.htm

www.college-contact.com/d/usa/info/system/index.htm

www.college-contact.com/d/uk/info/system/typen.htm

www.informatik.uni-bonn.de/fs/archiv/streik/streikzeitung/nr6/zeitung6.html#4

——————————————————————————–

[1] Maria-Regina Knecht: Das Groteske im Prosawerk von Vladimir Nabokov. Bonn 1983, S. 123.

[2] Vladimir Nabokov: Pnin. New York 1989, S. 11.

[3] Marcel Reich-Ranicki: Hamlet im falschen Zug. In: Der SPIEGEL Nr. 9, S. 186, 27.02.1995.

[4] Reingard M. Nischik in der Einleitung zu: Reingard M. Nischik (Hg.): Uni literarisch. Lebenswelt Universität in literarischer Repräsentation. Konstanz 2000, S. 17.

[5] Maria-Regina Knecht: Das Groteske im Prosawerk von Vladimir Nabokov. Bonn 1983, S. 124.

[6] Siegfried Mews: Martin Walsers Brandung: ein deutscher Campus- Roman?. In: The German Quarterly 60, 1987, S. 225

Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 02. Dezember 2004

Campus Novels – Universitätsromane: Bildungskonzepte

Moritz Gekeler, Maria Shalnova: Bildungskonzepte und ihre Verarbeitung in den Campus Novels

Inhalt

1. Das klassische deutsche Bildungskonzept – Erziehung durch Wissenschaft

2. Das klassische amerikanische Bildungskonzept

3. Das klassische englische Bildungskonzept


Bildungskonzepte und ihre Verarbeitung in den Campus Novels

Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 18. Dezember 2003

Nachtrag – Humboldt

Sechs Konzepte als Grundlage des neuen Bildungskonzeptes:

„1. ‚Forschung’ als einen neuen Begriff, der den dominanten Typus wissenschaftlichen Handelns beschreibt.

2. Einen radikal umstrukturierten Wissenschaftsbegriff.

3. Vorstellungen hinsichtlich einer Unwahrscheinlichkeit der Kommunizierbarkeit von Wissen.

4. Eine Kritik des Begriffs Erziehung – soweit dieser als Ideal für Universitäten gemeint sein könnte.

5. Theoretische Vorstellungen über den akademischen Vortrag und über akademische Lehre.

6. Eine Präferenz für Einheit und Einheiten – im Unterschied zur Segmention oder Hierarchisierung von Realitätsausschnitten.“ [Stichweh, S. 230]

zu 1) Vorstellung von der Aktivität des Einzelnen

– jeder ist Subjekt der Wissenssuche

– kein Verlass auf überliefertes „Bücherwissen“

zu 2) Wissenschaft = Einheit alles forschungsbasierten Wissens

– wissenschaftliches Wissen = temporäres Resultat selektiver Prozesse

– Präferenz der Produktion einer immer größeren Zahl von „Wissens-partialen“

zu 3) Lehrer – Student = Spezialfall der Kommunikation zwischen Forscher – Forscher, die über Forschung sprechen

– Vorstellung von der Aktivität des Studenten und der Inkommunizierbarkeit von Wissen.

zu 4) Wissenschaft (als Prozess, nicht als Ergebnis) = disziplinierende Wirkung

– Wissenschaftlichkeit = Abgrenzungskriterium gegenüber Schule

– Erziehung (in diesem Sinne) nicht so wichtig für dt. Universität

– Freiheit des Lehrens und Lernens → Einheit von Forscher und Lehrer

– Forscher (Lehrer und Student) kann stets lernen (forschen) was er will

zu 5) Vorlesung = ursprüngliche Form der Wissensvermittlung

– Lehrender kann nicht vorgefertigtes Wissen präsentieren, sondern muss den Studenten zum eigenen Forschen anregen. Der Lehrende muss in Anwesenheit des Studenten kreatives Tätigkeitsmuster entfalten.

– Dieser vermeintliche Gegensatz von einerseits Präferenz der Vorlesung, andererseits der Vorstellung der Inkommunizierbarkeit des Wissens, geht auf die Vorstellung zurück, dass die Vorlesung gleichsam als Akt des Forschens selbst gesehen werden kann, da der Vortragende beim Sprechen die Forschungsergebnisse neu verarbeiten muss.

(Hierzu Humboldt: Reproduktion von Wissenschaft ist Produktion von Wissenschaft vgl. Stichweh: S. 237: „Überhaupt lässt sich die Wissenschaft als Wissenschaft nicht wahrhaft vortragen, ohne sie jedes Mal wieder selbstthätig [sic!] aufzufassen, und es wäre unbegreiflich, wenn man nicht hier, sogar oft, auf Entdeckungen stoßen sollte.“)

zu 6) Einheiten werden präferiert

z.B. „systematische Einheiten“ = Definiens des Wissenschaftlichkeitsbegriff

– Universität = Einheit aller Wissenschaften

– Verschiedene Unis werden durch einheitliches System geeint, einheitliche Abschlüsse etc.

– Einheit Forschung – Lehre

Silvia Mattei

Campus Novels – Universitätsromane: Raumkonzeption

Regina Sachers und Stefan Schukowski: Raumkonzeption


Inhalt

Raumkonzeption
Ergebnisprotokoll der Sitzungen vom 15. und 22. Januar 2004

1. Raumsemantik und Sujetkonstruktion nach Lotman
(zum Referat von Stefan Schukowski)

Begriffserläuterung: Sujet – sujethaft – sujetlos (russ. sjužet) bedeutet nicht etwa Thema/Sujet (frz. sujet), sondern Handlung.

Diskussion der Anwendung des Modells auf zwei ausgewählte Campus Novels

a) Dorns Berliner Aufklärung

Gattungsaspekte: Lotmans Analysemodell paßt sehr gut zum Genre des Krimis, dessen Handlungsschemata und Figurenkonstellationen stets stark räumlich konzipiert sind.

Die Affinitäten zwischen Campusroman und Krimi (vgl. zweite Seminarsitzung) basieren just auf dieser konstitutiven Raumkomponente (bes. stark im topographischen Modell der Campus-Uni, aber auch im kulturologischen Modell der Uni als eigener Lebenswelt).

Wie im Diagramm auf dem Thesenpapier nachzuvollziehen, ist der Raum der Uni zum einen narrativ für die Handlungsstruktur funktionalisiert und zum andern gemäß einer in Oppositionen faßbaren Raumsemantik inhaltlich beschrieben. Dem korrespondieren selbstverständlich weitere Verfahren im Roman, etwa die Charakterisierung der den verschiedenen Räumen zugeordneten Figuren durch Jargon.

Detektivin Anja ist Held im Sinne von Lotman: Sujetbewegung der Aufklärung des Rätsels

Grenzüberschreitung könnte im Detektivschema an verschiedenen Stellen mit unterschiedlicher Funktion angesiedelt werden: die Sujetbewegung der Detektion dient der Enträtselung einer (in der histoire früher geschehenen, im discours erst am Ende erzählbaren) quasi ersten Grenzüberschreitung, des Mords.

Im Diagramm muß die Opposition „Unwissenheit“ (Uni) vs. „Aufgeklärtheit“ (Gesellschaft) ausdifferenziert und genauer zugeordnet werden. Auf das sujetkonstitutive Rätsel bezogen kann nämlich bei keiner Seite von Aufgeklärtheit gesprochen werden. Das Wort ist nicht nur doppeldeutig im Sinne des Bildungs- und Wissensbegriffs (Romantitel, vgl. Diskussion in der Sitzung über die Bildungskonzeptionen), sondern enthält auch die Konnotation der sexuellen Aufklärung und Libertinage/Liberalität (Rubrik ‘Figuren’: Schwulenmilieu). Die Wortwahl ist also für eine Analyse der Strukturkomponenten zu vieldeutig (eher ein vom Text selbst suggerierter Begriff als ein wissenschaftlicher Beschreibungsbegriff).

Der Typus des „Expansionssujets“ findet sich am Romanende konkret veranschaulicht (Auto in weiter Landschaft).

b) Walsers Die Brandung

Interessante Stufung: Die topographische Grenzüberschreitung per Interkontinentalflug ist als solche noch nicht die wirklich sujetauslösende Bewegung, sondern erst die Grenzerfahrung in der Brandung.

Der Raum der Uni kommt hier im Sujetschema überhaupt nicht mehr als eigener Komplex zum Tragen, er ist aufgehoben in dem übergeordneten Sujet des Kulturwechsels.

→ Sujet-Typen; Gattungsdefinition über die sujet-bestimmende Funktion des Raums Campus

Dieser radikal verschiedene Status des Campus in den beiden Sujet-Typen führt einerseits weiter zur Frage nach anderen Typen und andererseits zu generischen Grundüberlegungen.

Man könnte weitere exemplarische Typen finden, wo in den Campus selbst interne Grenzen eingezogen sind, die zur Sujetkonstruktion dienen:

c) Sayers‘ Gaudy Night: Grundopposition College (Frauencollege) vs. Stadt (männl. Oxfordtradition)

ist im Krimisujet innerhalb des Campus gespiegelt: antifeministisches Unwesen im College

d) Schwanitz‘ Der Campus: Die Grundopposition Uni vs. Gesellschaft ist nicht sujettragend; handlungsrelevant sind vielmehr die Gegensätze und Lagerbildungen innerhalb der Uni, verbunden mit bestimmten Instituten.

Wie man aus dieser kleinen improvisierten Typologie ableiten kann, dürfte das Lotmansche Modell eine exakte analytische Grundlage dafür bieten, ‘echte’ und ‘unechte’ Campus Novels voneinander zu scheiden: so läßt sich prüfen, ob die Uni als Raum ‘nur’ semantisch-thematisch bedeutsam ist oder ob sie auch die für den Text zentrale Sujetfunktion strukturiert.

2. Heterotopie
(zum Thesenpapier von Regina Sachers)

Theoretische Rekonstruktion:

Foucault – Jakobson – Lotman [vgl. Warning 2003] + Bachtin

Foucaults Konzeption der Heterotopie und Heterochronie bietet für sich genommen kein Analysemodell für literarische Texte, kann aber in Verbindung mit dem Lotmanschen Modell dafür genutzt werden. Die Schaltstelle zwischen dem kulturanthropologisch-historischen Ansatz Foucaults und dem strukturalistisch-textanalytischen Ansatz Lotmans ist die Besonderheit des literarischen Diskurses: Literatur ist einerseits eingebettet in das diskursive Umfeld, ist aber ein von den anderen Diskursen grundsätzlich unterschiedener „Konterdiskurs“ (Foucault) mit ganz eigenen Qualitäten: Imagination, sprachliche Dichte, Überschuß – m.a.W. „Literarizität“ und „Autoreferentialität“ (Jakobson). Textuell äußert sich das in Mehrfachcodierungen und Wiederholungsstrukturen, in der poetischen Paradigmatisierung der normalen syntagmatischen Ordnung (Jakobson), was zugleich eine Verräumlichung der zeitlichen Rede bedingt. Solch paradigmatisch strukturierte Syntagmen („paradigmatisches Erzählen“, Warning) generieren ein vielsinniges Beziehungsgefüge von raumzeitlicher Dynamik, worin ein besonderes Potential für die Modellierung von Heterotopien und, damit verbunden, Heterochronien steckt. Die literarische Heterotopie wird zum Zeit-Raum des Imaginären, der Andersheit und Anderswerden zur Vorstellung bringt.

Hierbei kommt nun die von Lotman beobachtete Sujetfunktion von Räumen zum Tragen: Grenzziehungen und Transgression als Auslöser von narrativen Sujets. Die Abgrenzung heterotopischer Räume kann mithilfe der Lotmanschen Raumsemantik-Parameter (semantische Oppositionen) erfaßt werden.

Insofern Heterotopien meist an Zeitschnitte gebunden sind (Paradebeispiele Friedhof, Schiff), hat das Foucaultsche Konzept eine grundsätzliche Affinität zu Bachtins Idee des „Chronotops“. Einer der wichtigsten von Bachtin benannten Chronotopoi, die Schwelle (Paradebeispiele bei Dostoevskij), ist zentral für den Gedanken der Heterotopie, die ja durch Ränder, Grenzen und Schwellen allererst konstituiert wird. Im Chronotop-Begriff läßt sich die wechselseitige Durchdringung genauer fassen.

[Bachtin, Michail: Formy vremeni i chronotopa, 1975; deutsch: Formen der Zeit im Roman, FfM 1989. Kurze Zusammenfassung bei Konstantinovic´, Zoran: Chronotopos. In: Glossarium der russischen Avantgarde, hg. A. Flaker, Graz-Wien 1989, 146-151.]

Wenn man nun also umfassend die russische mit der französischen Theorie vereint, hat man alle notwendigen Kategorien beisammen, textwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche.

Heterotopie und Campus Novel

Mit Foucault könnte der Campus als eine vom sonstigen gesellschaftlichen Kontext abgegrenzte Heterotopie aufgefaßt werden. Wendet man diesen soziologischen Befund ins Literarische, so ergibt sich die These, daß die Gattung Uniroman heterotopische Strukturierungen erfordert bzw. auch begünstigt. Am deutlichsten manifestiert sich diese Affinität in jenen Uniromanen, die den Raum Uni in Mustern von Heterogenität und Kulturdifferenz verhandeln (s.o. Sujettypus b: Raumwechsel-Kulturwechsel).

Interpretationsbeispiel Marías‘ Todas las almas

Oxforder high table (eine Heterotopie des Festes) als Inszenierung disparater Kommunikationsordnungen durch zeitlich, räumlich und kulturell strukturierte Blicke. Der interkulturell geprägte Blick als imaginative Öffnung auf andere Zeiten, andere Räume (Kindheit in Indien), qua Erinnerung gesehen von einem andern Ort und Zeitpunkt aus (Madrid); jeweils Sujetansatzpunkte (Affaire mit Claire, Affaire zwischen Claires Mutter und dem Schriftsteller).

Museum als heterotopischer Ort der Überlagerung von Zeiten: Überlagerung von drei Gesichtern in einem Gesicht, dissoziierte Doppelblicke

Textuelle Heterotopie?

Lassen sich die auffälligen Fremdkörper im Romantext, die beiden Fotos (mit den Zeitmarkern Jugend und Totenmaske), als semiotisch ‘andere’ Orte verstehen, als Repräsentation eines anderen Textraums?

Ähnlich vielleicht in Brandung die Gedichte (Konfrontation der beiden Sprachen): Lyrik als Heterotopie von/in Narration?

Heterotopie und contre-discours

– Die Partyszene in Brandung ist schon raumsemantisch als „anderer Raum“ markiert: Sie findet außerhalb San Franciscos statt und sie ist über einen steilen Weg nur schwer zu erreichen.

– Halm denkt, er würde die Konventionen, die in der Gruppe gelten (die floskelhafte, leere Kommunikation), kennen und versucht sich der vermeintlich geltenden Bräuche zu bedienen. Er übererfüllt aber die Konventionen, indem er die floskelhafte Kommunikation übertreibt. Durch die Übererfüllung (Erzeugen eines Überschusses) erschafft er einen Gegendiskurs (contre-discours), der den Diskurs bloßstellt, ihn lächerlich macht, und wird damit zu dessen Zerstörer.

– (Zur Erläuterung des hier dargestellten contre-discours: Die Funktionsweise der Überschussbildung im Gegendiskurs in Hinblick auf den Diskurs kann am Beispiel des Gegendiskurses ‚Literatur’ gegenüber dem normalsprachlichen Diskurs erklärt werden: Durch die Poetizität der literarischen Sprache (vgl. Jakobsons poetische Funktion und deren Verbindung mit der Wiederholung) entsteht ein Bedeutungsplus oder -überschuss. Dadurch wird die Sprache selbst problematisiert, was Auswirkungen auf den normalsprachlichen Diskurs hat.)

– Dass Halm einen Gegendiskurs erzeugt, wird durch seinen berauschten Zustand noch unterstrichen, den er selber für sein Gerede verantwortlich macht. Der Zustand des Rausches, der eine Nähe zum Anderen und Imaginären hat, speist seine Rede. Die Anwesenheit des Anderen im Rauschzustand wird auch im Produktionsprozess von „Inspiration Inn“ thematisiert („Schnappsidee“).

– Die Partyszene und weitere ähnlich funktionierende zentrale Szenen des Romans (z.B. Skatabende) enthalten in ihrer Mikrostruktur die Makrostruktur von Romans. Dies ist in postmodernen Romanen (angesetzt ab Mitte der 60er Jahre) eine häufig auftretende erzähltechnische Strategie (vgl. mise-en-abyme).

– Sowohl postmoderne Romane als auch „echte“ campus novels (vgl. Protokoll zum 15.01. „Heterotopie und Campus Novel“), die nicht postmodern sind, wie Gaudy Night (1935), besitzen eine Affinität zur Beschreibung von Heterotopien und Gegendiskursen.

– Die Methoden zur Konstruktion anderer Räume sind vielfältig: in campus novels über das Motiv der abgeschlossenen Universität, aber auch Strukturen wie z.B. die Kombinatorik können dies leisten.

Prof. Dr. Erika Greber (Abschnitte 1-2)
Stefan Schukowski (Abschnitt: „Heterotopie und contre-discours“)

Campus Novels – Universitätsromane: Gender

Melanie Lauer, Elisabeth Mader, Eva Rettenbacher und Sylvia Ring: Genderthematik

Inhalt

1. Allgemeines zu gender studies

2. Genderthematik in Changing Places und Small World

3. Aspekte der Gender-Thematik in Gaudy-Night

4. Berliner Aufklärung – Gender-Stereotypen in einer „verdrehten Welt“

5. Aspekte der Gender-Thematik im Campus


Genderfrage

Ergebnisprotokoll der Sitzungen vom 22. und 29. Januar 2004

1. Allgemeines zu gender studies

– Indem Frauen der Zugang zum Erlernen der Schrift verschlossen blieb, wurde die Schrift ein Machtinstrument des Mannes. Eine Folge war die Verbindung des Männlichen mit Schriftlichkeit/Geist und der Weiblichkeit mit Mündlichkeit/Körperlichkeit. So überlagerte sich die natürliche mit der kulturellen Geschlechtertrennung.

(Wobei schon die biologische Trennung dem herrschenden biologischen Diskurs unterliegt (vgl. Laqueur) und somit nur ein historisches Konstrukt ist).

– Die Genderforschung beschäftigt sich nun, den natürlichen Unterschied wohl anerkennend, mit der kulturellen Unterschiedlichkeit; zumal die Opposition männlich/weiblich nicht neutral funktioniert sondern eine hierarchische Ordnung impliziert: Das Männliche herrscht, setzt sich als Norm, dem Weiblichen bleibt nur der Platz des Anderen außerhalb der Norm.

– Die von der Genderforschung erlangten Erkenntnisse macht sich die LitWiss zunutze. Gleichzeitig hat sie Strategien entwickelt, um die Konstruiertheit von im Text auftretenden, scheinbar natürlich gegebenen Gesetzen, aufzudecken (z.B. über die Bloßlegung der konstruierten Aktantenfunktionen).

– Die für die Aufdeckung der Funktionsweisen ausgebildeten Strategien können die soziologischen Strategien zur Aufdeckung ähnlicher Vorgänge in der Gesellschaft ergänzen und modifizieren.


2. Genderthematik in Changing Places (und Small World) (1. Teil „Gender“)

– In Changing Places treten relativ wenige Frauen auf. Wenn sie auftreten, dann nur in Objektpositionen als Relationspunkte zu den männlichen Figuren (vgl. Handout).

– Dies ändert sich in Small World:

Erste Akademikerin tritt auf (Fulvia Morgana). Wobei sie keine Subjektposition auf Männerseite einnehmen kann (ordnet sich dem weiblichen Prinzip der Körperlichkeit unter).
Désirée gewinnt auf Discours- (als Fokalisationsfigur) und auf Histoireebene (z.T. als Hauptfigur des Geschehens) Subjektposition.

– „Wer ist der Sexist?“ (in Changing Places):

auf Figurenebene: Fokalistionsfiguren (Swallow, Zapp) sind männlich und verhalten sich ihrem Diskurs gemäß.
auf Erzählerebene: keine differenzierende Erzählerstimme

→ Zwei Interpretationen möglich: Erzähler macht gemeinsame Sache mit Figuren, oder distanziertes Vorführen von sexistischem Denken

– Die Frage, ob überhaupt Sexismus (besser: patriarchale Denkweise) herrscht, ist aufgrund der Verwendung von Ironie nicht eindeutig zu beantworten.

– Für ein Vorherrschen patriarchaler Denkweisen spricht deren häufige Thematisierung (bes. in Small World).

– Grund dafür könnte auch eine Orientierung am Geschmack des Buchmarktes sein (Lodge als Bestsellerautor).


3. Aspekte der Gender-Thematik in Gaudy-Night

Die weiblichen Dons des Frauen-Colleges sind sich ihrer Identität als weibliche Wissenschafter unsicher. Herausgestellt wird diese Unsicherheit durch den Kriminalfall, der die heile Welt des Colleges ankratzt und damit auch die weiblichen Wissenschaftlerinnen in Frage stellt.

Das Frauencollege ist ein Ort, an dem nur homosoziale Kommunikation funktioniert, die heterosoziale Kommunikation ist gestört. Peter ist als potentieller männlicher Heiratskandidat ein Fremdfaktor (der Hausmeister ist geduldet, insofern er nicht für eine Heirat in Frage kommt) im College; eine Kommunikation fernab der intellektuellen Ebene zwischen Harriet und ihm ist nicht möglich. Die Aufgabe des Kriminalfalles aber schafft als gewissermaßen imaginärer Ort einen gemeinsamen Rahmen für Peter und Harriet.

Eine konkrete Stellungsnahme zur historischen Thematik ‘Frauen und Berufswahl’ lässt sich nicht eindeutig aus dem Roman herleiten. Zwar werden die Erwartungen an die Figur Hilliard, die als alte Jungfer für die Rolle des Poltergeistes prädestiniert zu sein scheint, gebrochen und somit eine weibliche Stereotypisierung als solche entlarvt. Andererseits aber löst schließlich Lord Peter den Fall, und die Frauen mussten sich, wie die Täterin konstatiert „einen Mann holen, der den Fall löst“. (Dieser Satz ließe sich aber auch wiederum als Ausstellung der geschlechtsspezifischen Rollenmuster lesen.) Es bleibt dabei aber zu bedenken, dass in dem stark mimetisch geprägten Stil des Romans die Klärung des Falls durch eine Frau wohl als Utopie begriffen werden müsste und Dorothy L. Sayers so dem kritischen Potenzial des Romans schaden würde, ließe sie Harriet an Peters Stelle den Fall lösen. Darüber hinaus wäre es auch zu kurz gegriffen, Peter als Repräsentant der patriarchalen Welt zu beschreiben, stellt er doch ein durchaus die Lesererwartung bedienendes positiv gezeichnetes Idealbild des reichen, gebildeten Adeligen dar und steht als femininer Mann eher außerhalb der Gesellschaft.


4. Berliner Aufklärung – Gender-Stereotypen in einer „verdrehten Welt“

In dem Kriminalroman Berliner Aufklärung werden Stereotypen als solche vorgeführt und gleichzeitig gedoppelt. So trinkt die homosexuelle Anja gerne Bier, was im unmittelbar darauffolgenden Satz als Verhaltensmerkmal der „Kampflesben“ ausgewiesen wird. Das Romangeschehen ist überwiegend in der Fokalisierung durch Anja vermittelt; auch jene Stellen, die Victoria Stachowicz als Belege für eine auktoriale Erzählinstanz anführt, lassen sich präziser und differenzierter als Kombination einer Fokalisierung durch Anja mit einem hohen Grad an Selbstironie dieser Figur beschreiben. Dementsprechend lässt sich auch eine weitere Stelle im Buch interpretieren: Für Professor Maier-Abendroth ist eine Frau ohne Kinder eine gescheiterte Frau, seine eigene Kinderlosigkeit hingegen, die gleich im darauffolgenden Absatz zur Sprache kommt, stellt kein zu interpretierendes Faktum dar. Auch ist diese die Stereotypen entlarvende Ironie nicht auf eine auktoriale Erzählerinstanz zurückzuführen, sondern auf die implizite Inszenierung im Diskurs.

Die starke Fokalisierung des Geschehens durch Anja ist auch Ursache dafür, dass aus dem Text heraus keine Angaben darüber gemacht werden können, inwiefern ihre Zuneigung von Rebecca erwidert wurde. Deutlich aber ist, dass dem Verhältnis beider Figuren eine asymmetrische Konfiguration zugrunde liegt. Der Begriff „Nichtangriffspakt“, den Anja verwendet, um das Verhältnis zwischen ihr und Rebecca zu beschreiben, impliziert ein gegenseitiges Begehren und eine beiderseitige Direktheit, dem die histoire widerspricht. Er wird zur Metapher, die, aus einem anderen Bereich übernommen, nun als Wort des Szenejargons die Differenz zwischen der angeblichen Eindeutigkeit und ihrer tatsächlichen Vagheit herausstellt.

Die herausragende Rolle, die der Transvestismus im Roman spielt, kann man auf theoretischer Ebene dergestalt interpretieren, dass durch ihn das Geschlecht als Konstrukt entlarvt wird.

[Vgl. dazu Garber, Marjorie B.: Vested Interests. Cross-Dressing and Cultural Anxiety, New York etc. 1992. Ü: Verhüllte Interessen. Transvestismus und kulturelle Angst. Frankfurt/M. 1993.]


5. Aspekte der Gender-Thematik im Campus

Auch in Dietrich Schwanitz’ Roman Campus fällt die stark stereotype Zeichnung der einzelnen Figuren auf. Im Unterschied zu den vorangegangenen Texten aber werden hier die Stereotypen nicht durch eine ironische Distanzierung als solche problematisiert, sondern bruchlos repräsentiert, wobei besonders die Frauenfiguren durchweg negativ konnotiert sind. Diese für einen Roman der 1990er Jahre übertrieben mysogyne Darstellungstendenz lenkt gleichzeitig das Augenmerk des Lesers stark auf die Frauenfiguren.

Die Romanfiguren handeln – ungeachtet ihres Geschlechts – aus professionellem Eigeninteresse. So setzt sich die Professorin Wagner zwar für die Studentin Barbara ein, ihr Interesse für den Fall aber entspringt dem Willen, die Macht der Frauenbeauftragten, also ihre eigene, zu erweitern.

Untersucht man die narrativen Mittel des Romans, so wird deutlich, dass die männliche Figurensicht aufgrund der Fokalisierung durch Professor Hackmann stark überwiegt. Daran lässt sich die Frage der unterschiedlichen Lektüren von Mann und Frau anschließen. Für einen Mann mag beispielsweise die Szene der Verführung durch Barbara, die der Leser an die Fokalisierung Hackmanns gebunden erfährt, lustige Komponenten haben. Darüber hinaus aber bietet sich für diesen Text auch das Modell der zweiten Lektüre an, die es sich zum Ziel setzt, mit dem Mehrwissen der ersten Lektüre nicht der Fokalisierung des Textes zu folgen, sondern abseits von deren Vorgaben eine spezifische weibliche Sicht auf den Text zu bekommen.

Stefan Schukowski (Abschnitte 1-2)
Regina Sachers und Maria Shalnova (Abschnitte 3-5)

Campus Novels – Universitätsromane: Kombination von Gattungen und Textsorten

Eva Stein:
Kombination von Gattungen und Textsorten

Inhalt

Kombination von Gattungen und Textsorten

1. Kombination von Gattungen und Textsorten

1.1 Gaudy Night

Die in den Kriminalroman eingebetteten Gedichte erzeugen Spannung zwischen den Textsorten Gedicht und Krimi. Im besonderen Maße gilt dies für das in den Text eingebettete Sonett. Das Sonett verweist, wie auch die Gedichte auf eine sozusagen höhere Form der Textualität, können somit als Indiz für die Universität gedeutet werden.

Das Sonett kann als eigener, dialogischer Ort innerhalb des Textes verstanden werden. Nicht nur Gaudy Night ist durch die Einbettung der Gedichte zweistimmig, sondern auch das Sonett selbst. Durch seine dialogische Struktur (das Sonett wird in Co-Produktion von einer Autorin und einem Autor geschrieben, wobei die Sonettform erst durch die männliche Initiative entsteht), bricht es nicht nur die Struktur des Kriminalromans Gaudy Night, sondern auch die Sonetttradition auf: In der Sonetttradition ist sowohl die Doppelstimmigkeit wie auch die Autorschaft einer Frau ungewöhnlich; allerdings gab es gerade in der englischen Literatur bereits sehr früh Sonettdichterinnen.

Als Ort im Text spielt das Sonett eine besondere Rolle, da hier, d.h. in der Lyrik, eine imaginäre Vereinigung vollzogen werden kann. Die dialogische Struktur ist somit auf der Ebene der histoire motiviert.


1.2 Die Brandung

Rilkes Gedicht „Der Panther“ erfüllt in Die Brandung die Aufgabe der Situationsbespiegelung, d.h. Halms eigene Situation wird anhand des Vergleichs mit der des Panthers charakterisiert.

Shakespeares „Sonett 129“ spielt für die Charakterisierung der zwischenmenschlichen Beziehung eine tragende Rolle. Wobei hier vor allem dem Akt des Übersetzens und des mündlichen Vortrags besondere Bedeutung zukommt. Das erotisch aufgeladene Vortragen des Gedichts, das sich bis zur Ekstase zu steigern scheint (vgl. Lautstärke des Vortrags), tritt hier an die Stelle des Liebesaktes. Somit drückt das Gedicht und sein Vortrag nicht allein den Gewissenkonflikt der Charaktere aus, sondern bildet einen autonomen Ort innerhalb des Geschehens: Hier gehen die Figuren sprachlich einen Schritt weiter als körperlich, die Vereinigung wird durch den Vortrag des Gedichts performiert.


2. Kombination von Lyrik und Prosa

Die Kombination von Lyrik und Prosa erscheint heutzutage ungewöhnlich, kann aber im Grunde auf eine lange Tradition zurückgeführt werden. So gibt es Genres, die auf diese Kombination von Textsorten aufbauen (z.B. Schäferroman). Die Textkombination von Prosatext und Lyrik wird unter dem Begriff Prosimetrum zusammengefasst.

In den untersuchten Texten ist diese Textkombination nicht allein deshalb zu untersuchen, weil sie eigentlich unüblich geworden ist, sondern weil sie in auffallender Weise die Präsenz und Existenz des jeweils ‚anderen’ zum Vorschein bringt und betont.


2.1 Todas las almas – Aller Seelen

Die Verwendung der Fotos in Aller Seelen bleibt rätselhaft, denn weder über die Positionierung im Text, noch über die dargestellte, eigentlich nebensächliche Figur (Gawsworth), können konkrete Rückschlüsse auf den Sinn des Einsatzes der Fotos gewonnen werden. Denkbar ist, die Fotos als Indiz für eine vorliegende Biographie zu verstehen. Auch könnten sie einen Verweis auf den Romantitel „Aller Seelen“ darstellen, indem die Abbildung der Totenmaske mit der Abbildung der Seele des Verstorbenen gleichgesetzt wird.


2.2 Changing Places:

In David Lodges Roman kommen die unterschiedlichsten Textformen, wie etwa Briefroman, Filmdrehbuch, Zeitungsartikel, zum Einsatz; die Präsentationsform des Erzählten wechselt mit jedem Kapitel. Die unterschiedlichen Techniken und Gattungen finden hierbei keine zwingende Motivation im Text, sondern werden als Spielerei des Autors vorgeführt; sie dienen zudem dem Witz und der Selbstreflexion des Textes.

Die Zeitungsartikel, als Anklänge an die dokumentarische Literatur, simulieren eine multiperspektivische Technik, die dem Leser den Eindruck freier Meinungsbildung vermitteln kann.

Marlene Zöhrer

Campus Novels – Universitätsromane: Literaturtheoretische Aspekte

Nicola Gadow, Gordana Kelava:
Literaturtheoretische Aspekte

 

Literaturtheoretische Aspekte
Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 12. Februar 2004

1. Intertextualität

In Lodges Roman Changing Places findet man sowohl lineare als auch perspektivierende Intertextualität. Die Begriffe stammen aus dem von Manfred Pfister und Ulrich Broich herausgegebenen Sammelband: Intertextualität: Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen, 1985 (vgl. hier: Ulrich Suerbaum: „Intertextualität und Gattung“, 64-68); lineare Intertextualität bezeichnet dort die explizite Markierung und Einreihung des Posttextes in die Tradition des Prätextes, wobei es sich aber keinesfalls um bloße Nachahmungen handelt, sondern um die Weiterführung und innovative Erweiterung dieser Tradition. Die perspektivierende Intertextualität hingegen bindet den Posttext nicht in eine bestimmte Tradition ein, sondern verwendet intertextuelle Verweise auf unterschiedlichste Prätexte, um unter bestimmten Auswahlkriterien eine eigene Bezugsreihe herzustellen. Die Verwendung des Prätextes ist somit nicht durch seine Gattung determiniert.

Die im Thesenpapier unter perspektivierende Intertextualität aufgeführten Beispiele aus Changing Places, der Pater Noster und das Spiel Humiliation, sind selbst nicht intertextuell, sondern bedingen als Motiv bzw. Bild intertextuelle Verweise.

Wie der Gattungswechsel innerhalb des Romans Changing Places, kann auch die Intertextualität als Spielerei des Autors verstanden werden, die moderne Varianten bereits ‚ausgestorbener’ Gattungen produziert. Zudem wird durch die Intertextualität mit Vorwissen und Bildung der Leserschaft gespielt, wenn etwa eine Figur über intertextuelle Bezugnahmen charakterisiert wird. In diesem Zusammenhang spielt auch die Markierung der Intertextualität eine Rolle, da nicht von einer einheitlichen Vorbildung ausgegangen werden kann. Eine starke Markierung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verweis auch erkannt wird (vgl. auch layered fiction).


2. Dekonstruktivistische Literaturtheorie

Der Roman Der Tod des Autors von Gilbert Adair ist ein Schlüsselroman über den Dekonstruktivisten Paul De Man (die Theorie De Mans, d.h. die amerikanische Dekonstruktion ist nicht gleichzusetzen mit der französischen Dekonstruktion um Derrida). Der Roman ist stark biographisch motiviert; er übernimmt viele historische Fakten, und ordnet zudem die erwähnten, erläuterten Literaturtheorien (Intertextualität) in ihren historischen Kontext ein.

Sfax, der Ich-Erzähler des Romans, positioniert sich selbst nicht eindeutig innerhalb einer Theorie. Die von ihm propagierte Theorie der „Teufelsspirale“ stellt eine Populärversion der Dekonstruktion dar: Es gibt keine feste Bedeutung bzw. keine definitive Aussage eines Textes. Sfax stellt die gesamte Lektüre in Frage, indem er behauptet, dass Sprache nicht eindeutig sein kann und somit Interpretationen automatisch falsch sind.

Es kommt zur Realisierung der literaturtheoretischen Metapher (Tod des Autors) per Kriminalsujet. Die wichtigste Figur der Dekonstruktion, die Aporie, wird im Roman narrativ umgesetzt.

Marlene Zöhrer

Campus Novels – Universitätsromane: Metafiktionale Aspekte

Annette Gschwilm und Marlene Zöhrer:
Campus Novels und Metafiktion


Inhalt

1. David Lodge: Changing Places

2. Gilbert Adair: The Death of the Author

Metafiktionale Aspekte
Ergebnisprotokoll der Sitzung vom 12. Februar 2004

The Death of the Author – Der Tod des Autors: Wiederkehrende Metaphern erzeugen das Bild einer ’Spirale’ und verstärken somit die thematisierte literaturwissenschaftliche Theorie der ’Teufelsspirale’ in Der Tod des Autors. Weiterhin werden der Entstehungsprozess und die Künstlichkeit des Romans selbst thematisiert. Dem Leser wird der Entstehungsprozess des Romans vorgeführt und an einigen Stellen des Romans wird er vom Erzähler auch direkt angesprochen. Die Glaubwürdigkeit des Textes wird vom Text selbst untergraben. Andere literaturwissenschaftliche Theorien werden auf den eigenen Text übertragen. Es handelt sich um eine Selbstreflexion und wirkt wie ein Kommentar. Die Gemachtheit bzw. Fiktionalität des Textes wird über Zitate aus anderen literarischen Werken herausgestellt. Es wird mittels der Ironie mit der Gemachtheit des Textes performativ gespielt, indem die Fiktionalität des Textes vorgeführt und gleichzeitig hergestellt wird. Die Frage, die sich der Leser bei der Lektüre des Romans stellt ist: Wer schreibt da eigentlich? Es ist zumindest unglaubwürdig, dass jemand nach seinem Tod schreibt. Hier wird die Aporie selbst performiert.

In Changing Places sind metafiktionale Phänomene eng mit der Erzählstruktur verwoben. Ein wichtiger Aspekt ist die Vermischung unterschiedlicher Textsorten, da diese die Konstruiertheit des Textes betont und die Illusion bricht. Manche der metafiktionalen Elemente in Changing Places dienen der Selbstironisierung. In Changing Places kommen sowohl traditionelle als auch moderne Erzähltechniken zum Einsatz, die gleichzeitig zum Gegenstand literaturwissenschaftlicher Diskussion gemacht werden.

Marlene Zöhrer

Campus Novels – Universitätsromane: Bibliographie

Galster, Christin:
Literaturtheorie und Wissenschaftsbetrieb im britischen Universitätsroman. Campus novels von David Lodge, Malcolm Bradbury und A.S. Byatt. (Magisterarbeit) In: Regensburger Skripten zur Literaturwissenschaft 1997.

Zum Text: http://www.bibliothek.uni-regensburg.de/opus/volltexte/2001/19/pdf/RSL6.pdf